Grundlagen der Meeresbiologie - Ozeanographie

Vorlesung 7/9

<– Zurück zur Übersicht

Westrandverstärkung

In der letzten Vorlesung haben wir das Ekman Pumping und die Rossbywellen kennengelernt. Wir wollen uns nun anschauen, wie beide Effekte zusammen eine fundamentale Ost-West-Asymmetrie in die Ozeane hereinbringen. Der entstehende Effekt ist die Westrandverstärkung. Strömungen am Westrand der Ozeane sind viel schmaler und energiereicher als am Ostrand der Ozeane. Schauen wir uns an, wie der Effekt entsteht.

Subtropical Gyres

Als großräumige Windfelder haben wir die Passatwinde kennengelernt, die aus Ost wehen, und den Westwindgürtel mit Winden aus West. Zwischen diesen Zonen haben wir also eine Rotation im Windfeld. Auf der Nordhalbkugel erfolgt diese im Uhrzeigersinn.


Atmosphärisches Zirkulationsmuster. Man erkennt zwischen Äquator und Westwindgürtel auf der Nordhalbkugel, dass das Windfeld im Uhrzeigersinn rotiert.
[https://www.rmets.org/sites/default/files/inline-images/circulation.png]

Das entspricht einem Hochdruckgebiet, was ja auch naheliegend ist, da wir dort den subtropischen Hochdruckgürtel finden. Das bewirkt den umgekehrten Effekt zum Ekman Pumping, nämlich eine Konvergenz in der horizontalen Strömung. Dies haben wir ja in Bezug auf die Müll-Patches schon diskutiert. Durch das Downwelling bildet sich ein riesiger Warm-Core-Eddy, der rechtsherum rotiert, genau wie der Wind. Das wird als “Subtropical Gyre” bezeichnet.

Sverdrup-Balance

Wie jeder Eddy möchte dieser westwärts wandern, genau genommen seinen Drehimpuls nach Westen verlagern. Das entspricht der Dynamik einer Rossbywelle.

In der Tat verlagert der Eddy seinen Drehimpuls auch westwärts. Das führt dazu, dass er asymmetrisch wird. Die Spitze des “Wasserbergs” liegt dann nicht mehr in der Mitte des Ozeans, sondern nahe am Westrand des Ozeans.


Skizze zur Westrandverstärkung: Der “subtropical gyre” wird schief, das Maximum im Meeresspiegel liegt, dank der Westwärtsbewegung des Wirbels durch Rossbywellen, nahe des Westrands des Ozeans.
[https://o.quizlet.com/PyD8FUp7sqA0ftQvNO1qFQ.png]

Das Ergebnis ist, dass der horizontale Gradient im Wasserstand im Westen des Ozeans steil ansteigt, um dann von da aus bis zum Ostrand flach abzufallen. Als geostrophisch angepasste Strömung ergibt sich am Westrand also eine schmale und schnelle Strömung, am Ostrand aber eine breite und langsame. Dieser Effekt wird als Westrandverstärkung bezeichnet.

Die Sverdrup-Balance definiert, wie steil der Meeresspiegelanstieg im Osten ist und damit die äquatorwärtige Strömung. Diese stellt sich gerade so stark ein, dass zwei Mechanismen, die Drehimpuls auf das Oberflächenwasser übertragen, gleich stark sind:

Am Westrand ist die Stärke des Anstiegs durch Reibung bestimmt, die die polwärtige Westrandströmung abbremst. Ein Beispiel für einen solchen energiereichen Westrandstrom ist der Golfstrom im Nordatlantik.

Direkt angetriebene Strömungen (Jets)

Wir sehen uns nun Strömungen an, die nicht durch die Corioliskraft balanciert sind. Dazu können wir uns überlegen, wo keine Corioliskraft die Strömungen ablenken und letztlich rotieren lassen kann:

Coastal Jet

Der Coastal Jet entwickelt sich an der Küste, bei küstenparallelem Wind (also entweder bei Upwelling oder Downwelling). Der Windschub beschleunigt direkt eine Strömung in Windrichtung. Diese kann nicht von der Corioloskraft “weggedreht” werden, weil die Strömung ja nicht senkrecht zur Küste strömen kann. Stattdessen bildet sich an der Küste ein höherer oder niedrigerer Wasserstand heraus, entsprechend der Downwelling- oder Upwellingsituation. Es entsteht so ein immer weiter ansteigender Druckgradient senkrecht zur Küste. Dieser balanciert dann die Corioliskraft.

Im Fall von Upwelling würde die Corioliskraft versuchen, die Strömung von der Küste wegzudrehen. Der Druckgradient hingegen (niedrigerer Wasserstand an der Küste) würde versuchen, sie zur Küste hinzudrehen. Im Ergebnis gleichen sie sich aus, so dass die Strömung stabil in Windrichtung verläuft. Sie ist letztlich mit dem Druckgradienten geostrophisch angepasst.


Entstehung des Coastal Jet.
[https://www.eopugetsound.org/sites/default/files/styles/bodywidth_2-col_660px/public/topical_articles/images/Coastal%20Upwelling.PNG?itok=1v5iYrHa]

Equatorial Jet oder Äquatorialer Gegenstrom

Direkt am Äquator wirkt keine Corioliskraft (zumindest keine Horizontalkomponente). Aber wie wir aus dem Abschnitt “Westrandverstärkung” wissen, ist der Ozean geneigt, er hat im Westen einen höheren Wasserstand als im Osten. Dieser Druckgradient treibt direkt eine Strömung von West nach Ost an, den Equatorial Jet. Er wird auch “Äquatorialer Gegenstrom” genannt, weil er damit entgegengesetzt zu den benachbarten Strömungen der subtropical gyres verläuft.

Damit können wir nun alle wesentlichen stationären Strömungen erklären, die wir im Ozean finden.


Oberflächenströmungen im Weltozean.
[https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2024/8/22_Bild2.png;jsessionid=2767AD8EBE54F1BC4DEEA63A7510F5C0.live11042?__blob=normal&v=1]

Im nächsten Teil der Vorlesung werden wir uns also zeitlich veränderlichen Phänomenen widmen.

Wellen

Als Welle bezeichnet man in der Physik räumlich und zeitlich periodische Vorgänge. Das bedeutet, das gleiche Muster kehrt wieder, wenn man

Harmonische Wellen kann man mit einer Sinusfunktion beschreiben:

\[ y = \sin(k\cdot x - \omega \cdot t + \phi_0) \]

Hierbei beschreibt \(k=2\pi / \lambda\) die Wellenzahl und \(\omega = 2\pi / t_P\) die Kreisfrequenz. \(\phi_0\) ist eine konstante Phasenverschiebung, die man für theoretische Betrachtungen oft weglassen kann.

Das Minuszeichen vor dem \(\omega\) setzt man, damit eine Welle mit positivem \(k\) und positivem \(\omega\) auch in positiver \(x\)-Richtung verläuft.

Für Wellen, die ganz allgemein auch in andere Richtungen verlaufen, kann man das auch in Vektorschreibweise schreiben:

\[ y = \sin(\vec{k}\cdot \vec{x} - \omega \cdot t + \phi_0) \]

Dann ist \(\vec{k}\) der Wellenzahlvektor und \(\vec{x}\) der Ortsvektor. Wir werden das in der Vorlesung nicht betrachten, unsere Wellen laufen immer in \(x\)-Richtung.

Dispersion

Für eine Welle kann man zwei Geschwindigkeiten angeben. Die Phasengeschwindigkeit

\[ c = \frac{\omega}{k} \]

gibt an, wie schnell sich die Wellenberge bewegen. (Und zwar nicht das Wasser in den Wellenbergen, sondern sozusagen die Information, dass hier ein Wellenberg ist.)

Es kann nun sein, dass diese Geschwindigkeit \(c\) nicht für alle Wellenlängen gleich ist, sondern von der Wellenzahl \(k\) abhängt. Dann spricht man von “Dispersion” oder “dispersiven Wellen”. In diesem Fall breitet sich die Energie der Welle nicht mit der Phasengeschwindigkeit \(c\), sondern mit der Gruppengeschwindigkeit \(c_{gr}\) aus.

\[ c_{gr} = \frac{\mathrm{d}\omega}{\mathrm{d}k} \]

Oberflächenwellen

Wellen, bei denen die Meeresoberfläche ausgelenkt wird, bezeichnet man als Oberflächenwellen. Je nachdem, wie das Verhältnis von Wellenlänge \(\lambda\) und Wassertiefe \(H\) ist, bezeichnet man sie als

\(\lambda >> H\) | Flachwasserwellen |
\(\lambda << H\) | Tiefwasserwellen |

Wie bei allen Wellenphänomenen erfolgt die Bewegung der einzelnen Partikel näherungsweise lokal, in Form von Schwingungen. Was sich bewegt, ist nur das Wellensignal, nicht das Wasser. Aufgrund nichtlinearer Effekte kommt es bei Oberflächenwellen allerdings dazu, dass sich das Wasser gerade an der Oberfläche ein wenig in Wellenrichtung mitbewegt. Dieser Effekt wird als Stokes-Drift bezeichnet und ist im folgenden Bild dargestellt:


Tiefwasserwelle mit Stokes-Drift der mitbewegten Partikel.
[https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/4/4a/Deep_water_wave.gif]

Der Mechanismus, nach dem Oberflächenwellen sich ausbreiten, basiert darauf, dass zwei Dinge an der gleichen Stelle maximal werden, nämlich die Geschwindigkeit in Ausbreitungsrichtung und die Oberflächenauslenkung. Am Wellenberg strömt das Wasser also in Wellenrichtung, am Wellental entgegen der Wellenrichtung.

Warum breitet sich die Welle also in Wellenrichtung aus? Wir betrachten das folgende Schaubild:


Mechanismus zur Ausbreitung von Oberflächenwellen. Gestrichelte Pfeile stellen Änderungen dar.

Rechts vom Wellenberg sehen wir, dass die horizontale Strömung eine Konvergenz aufweist. Das bedeutet, das Wasser strömt zusammen und der Wasserstand steigt. Rechts vom Wellental strömt das Wasser auseinander und der Wasserstand sinkt.

Rechts vom Wellenberg wird das Wasser außerdem vom Druckgradienten nach rechts beschleunigt. Rechts vom Wellental wird es nach links beschleunigt.

Beide Signale (das Signal der Oberflächenauslenkung und das Signal der Horizontalgeschwindigkeit) breiten sich also in unserem Fall nach rechts aus. So funktioniert der Ausbreitungsmechanismus einer Oberflächenwelle.

Dispersion von Oberflächenwellen

Flachwasserwellen und Tiefwasserwellen haben eine verschiedene Phasengeschwindigkeit:

Wellenlänge Bezeichnung Phasengeschwindigkeit
\(\lambda >> H\) Flachwasserwellen \(c = \sqrt{gH}\)
\(\lambda << H\) Tiefwasserwellen \(c = \sqrt{g\frac{\lambda}{2\pi}}\)

Tiefwasserwellen sind also offenbar dispersiv (Wellen verschiedener Länge breiten sich mit unterschiedlicher Geschwindigkeit aus), Flachwasserwellen hingegen sind nicht-dispersiv, das heißt, sich bewegende Wellenmuster behalten ihre Form und laufen nicht auseinander.

Die Tiefenabhängigkeit der Phasengeschwindigkeit der Flachwasserwellen kann zur Bildung von Tsunamis führen. Wenn sie vom Tiefenwasser zur Küste laufen, werden sie immer langsamer, je flacher das Wasser wird:

Tiefe Geschwindigkeit
3000 m 618 km/h
300 m 195 km/h
30 m 61,8 km/h
3 m 19,5 km/h

Von 3000 m auf 3 m Wassertiefe werden die Wellen also 30 mal langsamer. Nehmen wir an, ein Seebeben hat den Meeresboden auf einer großen Fläche um 50 cm angehoben. Dann breitet sich diese Störung in verschiedene Richtungen als Wellenberg aus. Das Volumen des Wellenbergs bleibt erhalten, selbst wenn er langsamer wird. Er staucht sich also beim Übergang in flacheres Wasse zusammen, da das hintere Ende der Welle schneller läuft als das vordere. Wenn die Welle 30 mal langsamer wird, wird sie also auch 30 mal höher, in dem Fall 15 m hoch. Die tiefenabhängige Ausbreitungsgeschwindigkeit ist also die Ursache für die zerstörerische Kraft der Tsunamis.


Entstehung eines Tsunamis.
[https://bmg-images.forward-publishing.io/2021/4/23/98b56afa-e8ea-4989-bea8-d19d290f8693.jpeg?auto=format]

Interne Wellen

Wenn nicht die Meeresoberfläche, sondern eine interne Dichtesprungschicht vertikal ausgelenkt wird, sprechen wir von internen Wellen. Diese sind viel langsamer, denn die Druckgradientenkraft, die das Wasser beschleunigt, ergibt sich nur noch aus dem Dichteunterschied, nicht mehr aus der Dichte des Wassers. Die Masse, die beschleunigt werden muss, ergibt sich aber nach wie vor aus der vollen Dichte. Also ist die auftretende Beschleunigung viel geringer.


Interne Welle.
[https://encrypted-tbn3.gstatic.com/images?q=tbn:ANd9GcTCoEpTKFpk0yxAo9eXqE4SMNCYw7wF_9X2ZGOCnN-QbbwqxBt4]

Interne Wellen kann man manchmal vom Satelliten aus sehen, weil mit ihnen Oberflächenwellen einhergehen. Das ergibt sich aus der hydrostatischen Näherung, an den Wellenbergen, wo mehr dichtes Wasser ist, benötigt man ja weniger Wasser, um am Boden denselben Druck zu erzeugen.

Die langsame Ausbreitung sorgt dafür, dass interne Wellen auf der rotierenden Erde nicht besonders weit laufen können. Wenn die Corioliskraft wirkt und die Strömung rotiert, so dass sie nicht mehr senkrecht zu den Wellenfrotnen, sondern parallel zu ihnen verläuft, macht das ja den Ausbreitungsmechanismus kaputt. Die Strecke, die interne Wellen in einer Trägheitsperiode schaffen, wird als Rossbyradius bezeichnet.

\[ R_1 = \frac{c}{f} \]

Er liegt meist bei wenigen Kilometern, je nach Stärke der Schichtung. Bei starker Schichtung ist er entsprechend länger, da die Wellen ja schneller laufen.

Der Rossbyradius beschreibt auch die räumliche Skale, in der der Coastal Jet strömt. Sein Abstand zur Küste ist durch den Rossbyradius begrenzt. Weiter weg von der Küste, außerhalb des Rossbyradius, regt küstenparalleler Wind eher den seewärtigen oder landwärtigen Ekman-Transport an, statt einer küstenparallelen Strömung.

Kelvin-Wellen

Es gibt Ausnahmen, wo interne Wellen wesentlich weiter laufen können. Die sind wieder mal da zu finden, wo die Corioliskraft die Strömung nicht wegdrehen kann, also an der Küste und am Äquator.

Die folgende Grafik zeigt schematisch eine Kelvinwelle and der Küste:


Kelvinwelle an der Küste.

Über die Kelvinwelle ist folgendes zu sagen:

Kelvinwellen können auch am Äquator auftreten, dort laufen sie immer ostwärts.

Trägheitsoszillationen

Wie wir uns überlegt haben, müsste bei internen Wellen die Geschwindigkeit nach und nach rotieren, auf der NHK im Uhrzeigersinn und auf der SHK entgegen dem Uhrzeigersinn. Der Effekt tritt auch wirklich auf. Das Ergebnis sind Trägheitsoszillationen, die im Meer häufig vorkommen.

Die Strömung läuft dabei, meist angeregt durch einen Windimpuls, in der Oberflächenschicht und in der Bodenschicht in entgegengesetzter Richtung. Beide Strömungen rotieren mit der Trägheitsperiode im Uhrzeigersinn (auf der NHK).

Dass diese Trägheitsoszillationen auftreten, kann man zum Beispiel an den Trajektorien (=Bahnkurven) von Driftern sehen, die passiv mit der Strömung mitbewegt werden. Auf dieser Webseite kann man autonome Messgeräte im Ozean verfolgen, sogenannte ARGO-Floats:

https://argovis.colorado.edu/argo

In der Bahnkurve eines Drifters findet man oft halbkreisförmige Bögen:


Bahnkurve eines Drifters.

Diese entstehen durch die Überlagerung einer kreisförmigen Bewegung durch die Trägheitsoszillation mit der mittleren Strömungsgeschwindigkeit.

Die biologische Bedeutung der Trägheitsoszillationen liegt darin, dass sie am Meeresboden eine Strömung erzeugen, auch in Tiefen, in denen normale Oberflächenwellen keine Energie mehr haben. Diese Strömung kann ausreichen, um totes organische Material in einer “Fluff layer”, die auf dem Sediment liegt, zu mobilisieren. Dieses kann so mit der mittleren Strömung transportiert werden, selbst wenn diese zu langsam und schwach wäre, um diese Erosion / Resuspension selbst zu bewirken.

<– Zurück zur Übersicht

 
Impressum