Dr. Hagen Radtke ist ursprünglich Physiker (Diplom und Promotion an der Uni Rostock) mit Schwerpunkt theoretische Ozeanographie. Er arbeitet als Ökosystemmodellierer am Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW).
Das Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) ist ein außeruniversitäres Meeresforschungsinstitut. In seinen vier Fach-Sektionen
sind die Grunddisziplinen der Meeresforschung vertreten. Sein Forschungsprogramm ist auf Küsten- und Randmeere mit besonderer Hinwendung zum Ökosystem Ostsee zugeschnitten.
Die Ozeanographie gliedert sich in die vier oben genannten Teilgebiete.
Die Physikalische Ozeanographie befasst sich mit dem Weltmeer (Ozeane und Randmeere) und dabei mit folgenden Forschungsthemen:
Sie speist sich also aus drei Teilgebieten der Physik:
Sie versucht durch Beobachtung und Theorie:
sowie darüber hinaus
Die physikalische Ozeanographie als Wissenschaft ist eine recht junge Disziplin und enstand erst im 19. Jahrhundert. Das ist erstaunlich, denn die mathematischen und physikalischen Grundlagen für die Ozeanographie waren schon wesentlich länger bekannt. Auch das Forschungsgebiet, insbesondere die Meeresströmungen, waren natürlich auch früher schon von Interesse.
Einige Kenntnisse über die Physik des Meeres sind schon lange bekannt und wurden für die Seefahrt genutzt. Seit der griechischne Antike ist zum Beispiel der Zusammenhang zwischen Mondphasen und Gezeiten bekannt.
Kenntnisse über Meereströmungen im Atlantik existierten in schon in der portugiesischen Seefahrt des 15. Jahrhunderts. In der Schwachwindregion der Rossbreiten war es unmöglich, gegen den Kanarenstrom nordwärts zu segeln. Folglich mussten die Segelschiffe auf ihrem Rückweg vom südlicheren Afrika einen Umweg über das offene Meer nehmen.
Bereits 1513 beschreibt der spanische Eroberer Juan Ponce de León den Golfstrom. Der Hintergrund, warum Meeresströmungen wie dieser existieren, war hingegen noch unbekannt.
Isaac Newton legt mit seinem Werk Philosophiae Naturalis Principia Mathematica 1687 die Grundlage der klassischen Mechanik. Die drei Newtonschen Gesetze bilden letztlich auch das Fundament der physikalischen Ozeanographie.
Die Gesetze gelten zunächst für feste Körper. Um sie auch auf Flüssigkeiten anwenden zu können, ist als mathematische Zutat die Infinitesimalrechnung nötig (Betrachtung unendlich kleiner Flüssigkeitselemente). Diese entwickeln Newton und Leibniz unabhängig voneinander. Newton stellt bereits Berechnungen für die Strömung in Flüssigkeiten an und berücksichtigt auch die innere Reibung. Er wendet seine Gesetze aber nicht auf das Meer an.
Eine weitere wesentliche Zutat für die Berechnung von Meeresströmungen ist die Berücksichtigung der Erdrotation. (Sich bewegende Körper in einem rotierenden System werden von ihrer Bewegungsrichtung abgelenkt) Schon Pierre Simon de Laplace kann 1775 erstmals diesen “Corioliseffekt” korrekt mathematisch darstellen. 1835 berechnet Gustave Coriolis diesen Effekt erneut und er wird nach ihm benannt.
Auch hydrodynamische Berechnungen werden zu diesem Zeitpunkt schon angestellt. 1757 veröffentlicht Euler die Principes généraux du mouvement des fluides, in denen er allerdings mit reibungsfreien Flüssigkeiten rechnet. Es sollte aber noch 150 Jahre dauern, bis die Theorie auch für die Berechnung von Meeresströmungen nützlich wird.
Der US-Marineoffizier Matthew Fontaine Maury kann nach einer Verletzung nicht mehr zur See fahren. Seinen Dienst setzt er im Archiv der Seekarten in Washington, D.C. fort. Aus alten Logbüchern, die dort lagern, beginnt er systematisch die Informationen über Wind- und Strömungsverhältnisse zu verschiedenen Jahreszeiten zu extrahieren. 1845 veröffentlicht er erstmals Strömungskarten daraus (Wind and Current Chart of the North Atlantic, Sailing Directions and Physical Geography of the Seas and Its Meteorology). Mithilfe der Informationen und der Wahl angepasster Routen kann die Reisezeit zwischen Amerika und Europa deutlich verkürzt werden. Auch andere Staaten interessieren sich nun verstärkt für die Strömungen in ihren Seegebieten.
In den Jahren 1872-1876 findet die britische “Challenger”-Expedition statt. Angetrieben von der Frage, ob auch in der Tiefsee Leben existiert, umsegelt das Schiff die Erde und nimmt dabei auch zahlreiche physikalische Messungen (Strömung, Temperatur und Salzgehalt) auf.
Im Jahr 1895 beginnt der Norweger Fridtjof Nansen mit seinem Schiff “Fram” eine Expedition zum Nordpol. Er lässt sein Schiff im Packeis einfrieren, wo es mit diesem umherdriftet. Als erster Mensch erreicht er, mit Hundeschlitten, von dort aus den Nordpol. Während seiner Fahrt mit der Fram hat er beobachtet, dass die Eisschollen nicht in Windrichtung driften. Vielmehr treiben sie im Winkel von 45° rechts zum Wind. Auch die metorologischen Beobachtungen während der Drift im Packeis zeigen, dass dieses rechts zum Wind verdriftet.
Parallel dazu entwickelt der britische Physiker Osborne Reynolds eine Theorie der Turbulenz. Er zeigt, dass kleinskalige Wirbel im Meer effektiv eine starke innere Reibung im Meerwasser verursachen können, wesentlich stärker als die molekulare Viskosität, die sich im Labor messen lässt.
Dem schwedischen Ozeanografen Vagn Walfrid Ekman gelingt es, die Puzzleteile zusammenzusetzen. Er erkennt die Reibungskraft im Meer und die Corioliskraft als die Ursachen für diese Rechtsablenkung der Strömung. Seine Berechnungen erlauben es, auf Basis der Newtonschen Mechanik die Strömung aus den auf das Wasser wirkenden Kräften auszurechnen.
Wilhelm Bjerknes, ein norwegischer Meteorologe, erkennt das Potential in diesem Ansatz. Er entwickelt daraus die “dynamische Methode”: Aus Messungen der Dichte des Meerwassers kann man mithife der Physik näherungsweise die mittlere Strömung ableiten.
Die deutsche Meteor-Expedition (1925-1927) im Atlantik nimmt zahlreiche hydrographische Daten auf und bestätigt die Nützlichkeit der dynamischen Theorie.
Auf der Basis der entwickelten Gleichungen wächst die physikalische Ozeanographie. Auch Wellenvorgänge, die Strömungen in Ästuaren (Flussmündungsgebieten), Wirbel, Turbulenz etc. lassen sich mit dieser Methode verstehen und untersuchen.
In der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts erlauben Computer die näherungsweise numerische Berechnung dieser Gleichungen. Die Disziplin der Ozeanmodellierung entsteht aus der theoretischen Ozeanographie. Probleme von kleinen bis zu sehr großen Skalen lassen sich heute mit Computersimulationen beantworten, von der Auswirkung von Ausbaggerungsarbeiten auf Sedimenterosion bis hin zur Frage, wie das System der Meeresströmungen auf ein verändertes Klima reagieren wird. Ozeanmodelle sind Teil der gekoppelten Erdsystemmodelle, die im Rahmen des Intergovernmental Panel on Climate Change die Projektionen für den Klimawandel aufstellen.
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Das Klimasystem der Erde ist ohne den Ozean nicht zu verstehen.
Angetrieben sind Wetter und Klima durch die Tatsache, dass die Sonneneinstrahlung, die die Erde erwärmt, zwischen dem Äquator und den Polen sehr verschieden ist.
Um den resultierenden Effekt zu verstehen, sehen wir uns zunächst den Aufbau der Atmosphäre an.
Die Atmosphäre der Erde besteht aus einer Mischung transparenter und geruchloser Gase.
Der Wasser(dampf)gehalt in der Atmosphäre ändert sich und spielt eine wichtige Rolle im Energietransport und -austausch, er verändert die Dichte der Luft. Feuchte Luft ist leichter.
Das Wettergeschehen spielt sich dabei im Wesentlichen nur in der Troposhäre ab. Diese enthält etwa 90% der Luft und fast den gesamten Wasserdampf.
Das Energiebudget der Erde ist eine Balance aus eingehender kurzwelliger Strahlung und ausgehender langwelliger Strahlung. Der Treibhauseffekt bestimmt, bei welcher Oberflächentemperatur dieses Gleichgewicht eintritt.
Aber das Gleichgewicht gilt nicht überall. In den Tropen wird mehr Strahlung aufgenommen, an den Polen mehr abgegeben.
Es findet also ein Transport von Wärme in Richtung der Pole statt. Der ließe sich am einfachsten in der Atmosphäre verstehen, denn warme und feuchte Luft ist bekanntlich leichter. Man könnte also so eine Zirkulation erwarten:
Durch den Einfluss der Erdrotation (Rechtsablenkung NHK) bilden sich 3 Zirkulationszellen heraus.
Der polwärtige Transport in der Atmosphäre ist also gehemmt.
Stattdessen bildet sich, angetrieben durch die Physik, eine Zirkulation auch im Ozean heraus, der einen Teil des Wärmetransports übernimmt. Die Atmosphäre übernimmt dabei 2,5 Petawatt (PW) an Wärmetransport, der Ozean 1-1,5 PW.
Die Grenzen zwischen den Zellen sind Hoch- und Tiefdruckbänder. Diese wandern im Jahresverlauf nord- und südwärts entsprechend der Sonneneinstrahlung. Insbesondere wandert auch die Innertropische Konvergenzzone (Grenze der zwei Hadleyzellen, die üblicherweise am Äquator verläuft) samt ihrer Niederschläge.
Die Wanderung ist nicht überall gleich stark. Am stärksten ausgeprägt ist sie über Asien.
Die Ursache ist, dass Land sich im Sommer stärker erwärmt und im Winter stärker abkühlt. Die große Landmasse Asiens beeinflusst dadurch die atmosphärische Zirkulation. Im Sommer ist sie warm und bildet daher ein Tiefdruckgebiet (warme Luft ist weniger schwer), im Winter ein Hochdruckgebiet.
Das Tiefdruckgebiet im Sommer “zieht” die Innertropische Konvergenzzone (die ja selbst ein Tiefdruckgürtel ist) nordwärts, deutlich in die nördlichen Breiten. Folglich strömt die Luft der eigentlich südlichen Hadleyzelle nun auf der Nordhalbkugel nordwärts und wird nach rechts abgelenkt. Ergebnis ist der Südwest-Monsun. Da dieser vom warmen indischen Ozean mit Feuchte versorgt wird (Verdunstung), und an Land auf Gebirge trifft, bringt er die stärksten Niederschläge der Welt.
Die atmosphärischen Windmuster und treiben den Ozean an, direkt (Windschub) und indirekt (Verdunstung, Wärmeflüsse). Der Ozean reagiert mit der Ausbildung von Meeresströmungen. Was sich herausbildet ist die thermohaline Zirkulation.
Warum sich die Ozeanströmungen so ausbilden, und was das für Folgen hat, wird Teil dieser Vorlesung sein.